Leichte Sprache, die Regeln

Infografik Leichte Sprache - die Regeln

Infografik Leichte Sprache – die Regeln

Vorab: Leichte Sprache Regeln sind sehr unterschiedlich, je nachdem wo man nachschaut. Gemeinsam haben die Regeln aber vor allem, dass sie dem Gedanken der Inklusion folgen und Barrierefreiheit schaffen (sollen). Und der Bedarf an Leichter Sprache ist enorm, sofern die funktionalen Analphabeten mit in der Zielgruppe erfasst werden. Vor allem die Regeln des Netzwerks Leichte Sprache entsprechen diesem Gedanken. Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert die Teilhabe. Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), die Landesgesetzgebungen und jüngst die EU-Richtlinie 2102 zur Barrierefreiheit bilden den gesetzlichen Rahmen. Die Mindestanforderungen auf Bundesebene sind als Ergänzung zum BGG in der Barrierefreien-Barrierefreien-Informationstechnik-Verordnung, BITV 2.0 festgeschrieben.

In diesem Beitrag lesen Sie, wo welche Regelwerke es gibt. Vor allem aber können Sie einschätzen, welche Regeln Sie für einfache und leichte Texte anwenden müssen und welche Sie anwenden sollten. Die Infografik „Leichte Sprache – die richtigen Regeln“ soll Ihnen bei der Auswahl helfen. Wir stehen Ihnen aber auch gerne beratend zur Seite. Selbstverständlich übertragen wir Ihnen die Texte in das gewünschte Format.

1968 -1997 Barrierefreiheit als Ziel – die Geschichte

Um zu verstehen, warum es so viele Regelungen für die Leichte Sprache gibt, ist ein Blick in die Geschichte hilfreich.

Die Anfänge der Leichten Sprache beginnen bereits Mitte des 20. Jahrhunderts. In Schweden gab es 1968 eine Tagung, auf der Menschen mit Lernschwierigkeiten beschlossen, für sich selbst zu sprechen. Daraus entstand das Netzwerk People First, das 1974 auf einer Tagung in den USA gegründet wurde.

Die Idee kam im Jahr 1997 nach Deutschland. Unter dem Schlagwort „Wir vertreten uns selbst“ gründete sich das Projekt mit dem Ziel, Menschen mit Lernschwierigkeiten zu unterstützen und Barrierefreiheit zu schaffen. Wesentlicher Bestandteil waren Schulungen, für die eine geeignete Sprache fehlte. Das Netzwerk hat im Jahr 2000 das erste „Wörterbuch der Leichten Sprache“ herausgegeben.

1995 -1999 WCAG 1.0 Webstandards für barrierefreies Design

Bereits 1995 entstehen die ersten Richtlinien für Barrierefreiheit im Netz, 1999 werden die vielen Regelungen durch die WCAG 1.0 (Web Content Accessibility Guidelines = Richtlinien für barrierefreie Webinhalte ) abgelöst.

1998 Europäische Regeln für leicht lesbare Informationen

Auf europäischer Ebene hat „Inclusion Europe“, eine Vereinigung von Menschen mit geistiger Behinderung und ihrer Familien 1998 das Projekt ‚Pathways‘ Dieses Projekt ist deshalb von Bedeutung, weil Regeln entwickelt wurden, die heute ein Standard sind. Dokumente, die nach den europäischen Regeln für leicht lesbare Informationen geschrieben sind, dürfen das blau-weiße Logo tragen, das auf vielen Dokumenten zu sehen ist. Wichtig dabei, die Texte müssen von Menschen mit Lernschwierigkeiten geprüft sein.

2001 Das neue Wörterbuch der Leichten Sprache

Aus dem Netzwerk „Mensch zuerst“ geht im Jahr 2001 der Verein hervor. 2008 erscheint „Das neue Wörterbuch der Leichten Sprache.“ Es enthält auch  Leichte Sprache Regeln. Die Vorgaben entsprechen weitgehend denen des Projekt „Pathways“. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass anders als in den europäischen Regeln keine inversen Schriften verwendet werden dürfen.

2002 BITV – Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung

Die Vorgaben der BITV basieren auf den WCAG-Richtlinien. Sie schreiben noch keine Leichte Sprache oder Gebärdensprache vor. Wichtig dabei ist, dass die BITV gilt nur für Einrichtungen und Institutionen des Bundes gilt. Allerdings haben mehrere Bundesländer die Verordnung in den Behindertengleichstellungsgesetzen (BGG) übernommen.

2008 UN-Behindertenrechtskonvention

Mit der UN-Behindertenrechtskonvention, die 2006 verabschiedet und 2008 von Deutschland ratifiziert wurde, ist das Leitbild der Inklusion festgeschrieben worden. Die UN-Konvention fordert Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben. Artikel 9 regelt die Zugänglichkeit:

(1)Um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen mit dem Ziel, für Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zur […]Information und Kommunikation, […]einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Gebieten offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, zu gewährleisten. Diese Maßnahmen, welche die Feststellung und Beseitigung von Zugangshindernissen und – barrieren einschließen, gelten unter anderem für […]Informations-, Kommunikations- und andere Dienste, einschließlich elektronischer Dienste und Notdienste.Si

(2)Die Vertragsstaaten treffen außerdem geeignete Maßnahmen, […]um den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, einschließlich des Internets, zu fördern;

2008 WCAG 2.0

Ende 2008 werden die WCAG 2.0 Richtlinien veröffentlicht. Sie regeln die Anforderungen für Barrierefreiheit, wie zum Beispiel den notwendigen Kontrast. Die europäischen Richtlinien für Barrierefreiheit im Netz fordern in der weitestgehenden Auslegung Texte (Prioritätsstufe AAA), die „keine über niedrige sekundäre Schulbildung hinausgehenden Lesefähigkeiten erfordert“ (3.1.5).

2014 BITV 2.0 mit Leichter Sprache und Gebärdensprache

2011 tritt die BITV 2.0 in Kraft. Sie ist weitgehend eine Übertragung der WCAG in deutsches Recht. Neu ist die  Verpflichtung zur Gebärdensprache und zur Leichten Sprache. Diese Angebote müssen seit 2014 vorgehalten werden und zwar zum Inhalt des Internetauftritts und zur Navigation. Detailliert sind die Vorgaben in der Anlage 2 geregelt. Sie sind im Grunde ein Auszug aus den Regeln des Netzwerks Leichte Sprache mit einem entscheidenden Unterschied: die Prüfung der Dokumente durch Menschen mit Lernschwierigkeiten ist nicht festgeschrieben.

In der folgenden Tabelle haben wir die Mindeststandards aus der Anlage 2 der BITV 2.0 aufgelistet. Sie sehen, dass wir üblicherweise  viele Vorgaben und Regeln übernehmen und unsere Leistungen darüber hinausgehen. Eine Besonderheit ist, dass bei uns die Prüfung durch die Gruppe von Menschen mit kognitiven Einschränkungen Bestandteil der üblichen Produktion ist.

Vorgaben der BITV 2.0unsere Leistungen
1.
– Abkürzungen  vermeiden
– Silbentrennung am Zeilenende  vermeiden
– Verneinungen vermeiden
– Konjunktiv-, Passiv- und Genitiv-Konstruktionen  vermeiden
– Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
2– persönliche Ansprache– Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
3.– Begriffe durchgängig gleich verwenden– Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
4.
– kurze, gebräuchliche Begriffe und Redewendungen
– abstrakte Begriffe und Fremdwörter vermeiden oder mit Beispielen erläutern
– zusammengesetzte Substantive durch Bindestrich zu trennen.
– Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
– Schwerpunkt erläutern, da Gefahr der zur starken Verallgemeinerung
– Regel nicht durchgehend anwendbar, vgl.: ‚Netz-Werk‘ und ‚Netzwerk‘
5.– kurze Sätze mit klarer Satzgliederung– Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
6.– Sonderzeichen und Einschübe in Klammern vermeiden– Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
7.
– Inhalte durch Absätze und Überschriften strukturieren.
– Aufzählungen durch Listen gliedern
– Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
– bereits Bestandteil der Textanalyse
8.– wichtige Inhalte voranstellen.
– Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
-entspricht journalistischen Kriterien der inklusiven Kommunikation
9.
– klare Schriftarten mit deutlichem Kontrast
– Schriftgröße von mindestens 1.2 em (120 Prozent)
– wichtige Informationen und Überschriften hervorheben
– maximal zwei verschiedene Schriftarten
– Ausführungen präziser als Regeln des Netzwerks Leichte Sprache
– Layout ist Bestandteil der Prüfung, s. Punkt 14
10.
– Texte linksbündig
– ein Satz pro Zeile
– Hintergrund ist hell und einfarbig
– Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
– WCAG 2.0 bzw. WCAG 2.1 Vorgabe für Kontrast
11.– aussagekräftige Symbole und Bilder
– Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
– eingehende Beratung zum Thema Bilder
12.– Anschriften nicht als Fließtext– Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
13.– übersichtliche Tabellen-Regelwerk des Netzwerks Leichte Sprache
14..Kontrolle der Verständlichkeit durch Prüfgruppe

Einen ähnlichen Anforderungskatalog gibt es auch für Gebärdensprachvideos nach BITV 2.0.

2015 Regelwerk der Forschungsstelle Leichte Sprache

Recht frisch, aus dem Jahr 2015, sind die Regeln der Forschungsstelle Leichte Sprache, die inzwischen auch im Dudenverlag veröffentlicht wurden. Die Forschungsstelle hat den Trennpunkt eingeführt, die den Trennstrich ersetzen soll. Dieser entspricht jedoch nicht den Vorgaben der Leichten Sprache nach BITV 2.0. Außerdem ist die Forschungsstelle der Auffassung, dass die Prüfgruppe nicht notwendig ist, sofern die Regeln wissenschaftlich fundiert sind. Die Uni Hildesheim forscht seit 2014 zu dem Thema.

2018 WCAG 2.1

Im Juni veröffentlicht das World Wide Web Consortium (W3C) die fortentwickelten Richtlinien für barrierefreie Web-Inhalte. Von den 17 neuen Richtlinien haben drei Richtlinien zur Wahrnehmbarkeit einen mittelbaren Bezug zur Leichten Sprache. Sie betreffen die Vergrößerung und den Zeichenabstand vom Text, sowie den Kontrast.

2019 -2020 EU Richtlinie 2102

Im Oktober 2016 hat die EU beschlossen, dass die WCAG 2.0 Richtlinien in der Europäischen Union umgesetzt werden müssen. Maßstab ist die Prioritätsstufe AA. Damit wird sich in der Praxis in Bezug auf die Leichte Sprache vermutlich nichts ändern.

Fazit

Grundsätzlich gilt, das Recht auf Zugänglichkeit ist bereits in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben. Die Interpretation bleibt jedoch in vielen Fällen den Anwendern überlassen. Nur in den Fällen, wo das Behindertengleichstellungsgesetz anzuwenden ist, müssen Texte in Leichter Sprache auf jeden Fall vorgehalten werden. Dies gilt auch für Länder, die die BITV 2.0 übernommen haben.

Wir empfehlen immer, Texte in Leichter Sprache nach den Vorgabe der BITV 2.0 anzubieten. Die Verordnung bietet genug Gestaltungsspielraum, gleichzeitig ist sie weitergehende als die Regeln des Netzwerks. Zusätzlich raten wir dazu, die Texte von Menschen mit Lernschwierigkeiten prüfen zu lassen, So beziehen Sie dabei die Zielgruppe mit ein, und bekommen ein optimales Ergebnis.